Je mehr Fesselpartner/in, desto erfahrener ist einfach nur bullsh*t

von | 3. Apr. 2024

Ich bin der Meinung, je öfter die Seilpartnerschaft gewechselt wird, desto oberflächlicher bleiben die Skills des Riggers und des Ropmodels. Viele sprunghafte Fesselpartnerschaften zu haben bedeutet keine Intimität und kein tiefes Vertrauen aufbauen zu können bzw. sogar bewusst nicht aufbauen zu wollen.

Je intimer eine Fesselpartnerschaft, desto tiefer und vertrauter wird diese. Beide Personen können sich dadurch verletzlich und authentisch zeigen. Genau dies fehlt in unserer Gesellschaft, kann durch Shibari allerdings wieder gefunden und kultiviert werden.

Je unterschiedlicher, desto besser

Als ich das erste Mal wirklich Seil in Form von Shibari an meinem Körper gespürt habe, war ich mit meiner Internetbekanntschaft auf einem Fesselstammtisch. Ich war überwältigt, so viele unterschiedliche Menschen, so viele unterschiedliche Körper, so unterschiedliche Erfahrungslevels. Alle zusammen an einem Ort.

Was mir allerdings sofort auffiel, oft war von Außen nicht klar, wer zu wem gehört. Gefühlt fesselten jeder mit jedem, oder haben dies schon in der Vergangenheit. Ich habe dies damals überhaupt nicht hinterfragt. Zumal mir immer wieder gesagt wurde, je mehr Menschen Dich als Ropemodel fesseln, desto erfahrener wirst Du, denn jeder Mensch ist unterschiedlich.

Diese Aussage hielt ich jahrelang für die absolute Wahrheit. Somit war es für mich wichtig, mit viele unterschiedliche Rigger Erfahrungen zu sammeln. Da ich irgendwann auch Rigger wurde, war mir auch wichtig viele unterschiedliche Ropemodels zu fesseln. So lernte ich alle Körper kennen, unterschiedliche Fesselstile und unterschiedliche Charakteren an Menschen. Perfekt, oder?

Nicht ganz, ich musste am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn ein Rigger ein Ropemodel nicht kennt. Das Ende vom Lied. Nervenschaden im Arm. Vom damaligen Rigger erhielt ich keine Unterstützung, denn dieser hatte schließlich noch mehr Ropemodels und musste sich ja auch um diese kümmern. Gleichzeitig wurde ich für den Rigger uninteressant, da ich nun eingeschränkt war und viele seiner Fesseltechniken bei mir nicht mehr funktionierten.

Exklusivität macht Angst

Zu Beginn dachte ich noch, dass sich seine Einstellung ändern würde, doch das Gegenteil war der Fall. Er hatte immer weniger Zeit für mich, weil er immer mehr Ropmodels fesselte. Da verstand ich zum ersten Mal, was es heißt, keine Exklusivität vereinbart zu haben und warum, in meinem Fall dieser Rigger, keine Exklusivität vereinbaren wollte.

Exklusivität bedeutet Verantwortung zu übernehmen, greifbar zu sein, anwesend zu sein. Aus meiner Erfahrung ist dies für viele Menschen in der Shibari Szene ein Unding und verpönt. Denn sobald die o. g. Exklusivität vereinbart ist, sind die Kapazitäten für mehrere Ropemodels sehr eingeschränkt.

Man verpflichtet sich der anderen Person gegenüber. Es ist kein Kommen und Gehen, wann man es will. Es ist ein Kommittent. Solange alles gut geht, ist das kein Problem, doch wenn was schiefgeht, ist Exklusivität ein Gefängnis, welches vielen Menschen in der Shibari Szene Angst macht und daher nicht vereinbaren wollen.

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Tiefe statt Oberflächlichkeit

Ich habe gelernt, je länger ich mit einer Person fessle, desto besser lernt man sich kennen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Dies braucht seine Zeit. Denn wir erwachsene Menschen sind eher verschlossene Wesen. Es dauert, bis die Mauer bröckelt und wir uns authentisch und verletzlich zeigen.

Aus meiner Erfahrung braucht es diese Zeit. Es braucht Geduld, gute Nerven und Ruhe. Es ist Arbeit und kein Adrenalinkick. Doch dahinter entpuppt sich eine Welt der Intimität und des Vertrauens. Je mehr ich meiner Fesselperson vertrauen kann, desto besser kann ich mich in die Seile bzw. in die Shibari Session fallen lassen. Es entsteht ein Flow, welcher in einer oberflächlichen Fesselpartnerschaft nicht entstehen kann.

Diese Sicht gilt natürlich für beide Rollen, Rigger und Ropemodel.

Intimität statt Konsum

Konsumieren, konsumieren, konsumieren. Konsum an erster Stelle. Doch was dabei verloren geht, ist die Intimität. Intimität ist ruhig. Konsum ist laut und macht süchtig. Es wird immer nach dem nächsten Schuss gesucht. Höher, schneller, weiter. Ganz genau so, wie wir in unsere Konsumgesellschaft getrimmt werden. Doch irgendwann geht es nicht mehr höher oder schneller oder weiter und was dann?

Dann wird es langweilig, uninteressant und die Unzufriedenheit beginnt bis hin zu, dass die Fesselperson ausgetauscht wird. Das Spiel beginnt dann einfach wieder von vorne. Hauptsache, man bekommt das was man sich vorstellt. Hallo Ego! Die Idee, es könnte da noch mehr geben, weit hinter dem „langweiligen, uninteressanten“ kommt gar nicht erst auf. Es wird auch kaum in der Szene gezeigt.

Intimität ist aus meiner Sicht der Grahl des Shibaris, wenn dieser gefunden ist, werden die Shibari Sessions eine Qualität erreichen, die keinen Konsumschuss je toppen kann. Intimität bedeutet mehr als Vertrauen, es ist eine Basis zwischen zwei Menschen, welche Vertrauen, Sicherheit und Wohlwollen vereint.

Es geht nicht mehr um eine Show bzw. das Performen. Es geht rein um das Sein zwischen den Personen und dem Seil. Ein Sein ohne Anspannung, Leisten und Abliefern. Beide Menschen sehen sich, wie sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Sie fühlen sich sicher, gehalten und gesehen. Ohne Masken oder Rollenvorstellungen. Sie können sich ganz leben.

Intimität ist leise, kaum sichtbar, aber für alle Beteiligten spürbar.

Brechen des Rollenverständnisses

Es war zu Beginn sehr hart für mich, meine bestehenden Fesselpartnerschaften zu beenden. Es fühlte sich an, wie wenn ich meine Chance auf das nächste Abenteuer in die Toilette werfe. Doch gleichzeitig ermöglichte mir dieses Gefühl zu erkennen, dass ich einige Verhalten hatte, welche nicht gesund waren. Ich bekam die Möglichkeit, an mir zu arbeiten.

Ich brach mein Rollenverständnis von Fesselpartnerschaft und erfand sie für mich komplett neu. In meinem Leben gibt es nur noch ein Rigger, mein Partner. Mit ihm begann ich das Abenteuer Shibari ganz von vorne. Lernte, was es bedeutet, als Ropemodel dem Rigger Sicherheit zu geben und wie es sich anfühlt, wirkliche Sicherheit vom Rigger zu bekommen.

Ich durfte auch erfahren, welche Art von Verbindung und Intimität in einer langjährigen Fesselpartnerschaft entstehen kann und welche Ufer wir damit auch in unsere generelle Verbindung erreichen können. Ich konnte das erste Mal erfahren, was es bedeutet, wirklich die Kontrolle los zulassen. Denn dies gelingt den wenigsten Menschen im BDSM-Bereich. In den meisten Fällen hat der passive Part immer die Kontrolle, nur nicht offensichtlich

Es lohnt sich, sich im Seil verletzlich zu zeigen, wenn die richtige Fesselpartnerschaft vorhanden ist. Solltest Du Angst haben Dich in Deiner Fesselpartnerschaft verletzlich zu zeigen, solltest Du Dich fragen, ob die Fesselpartnerschaft wirklich zu Dir passt.

Fazit: Raus aus dem Konsum, rein in die Verletzlichkeit

Die Aussage, dass wir mit vielen unterschiedlichen Menschen fesseln sollten, damit wir erfahrener werden, ist aus meiner Sicht die einfachste Ausrede sich nicht verletzlich zu zeigen. Sich gar davor abzuschotten. Was bringt es denn, unterschiedliche Körper zu fesseln?

An sich beginnt man bei jedem neuen Fesselpartner wieder von vorne, denn jeder Körper ist anders und muss zuerst kennengelernt und erforscht werden, bevor fortgeschrittenes Shibari gefesselt werden kann. So sollte es zumindest in der Theorie sein, alles andere ist unverantwortlich!

Jeder Körper, jeder Charakter, jedes Verhalten ist individuell und gleicht keinem anderen. Ich frage mich dann immer, wie kann ich mit einer neuen Fesselperson fortgeschrittenes Shibari praktizieren, wenn ich noch nicht einmal abgecheckt habe, wo die Nerven genau verlaufen und wie sich meine Fesselperson mit Seil sich verhält? Nur alleine anhand eines Gespräches? Das reicht einfach nicht!

Unser Verstand ist vom Ego getrieben unser Körper nicht.

Wir können unsere Fesselperson aus meiner Sicht erst wirklich in einer Shibari Session kennenlernen, wenn es um das Erfahren geht, nicht um die Theorie. Das bedeutet im Umkehrschluss, es wird mit einer Basis Shibari Session begonnen und von Treffen zu Treffen steigern sich die Techniken und die Herausforderungen. Doch offensichtlich geht es bei „je mehr Fesselpersonen desto erfahrener“ nicht um das Kennen und Erfahren, sondern nur um den Konsum einer Shibari Session, die Fesselperson ist dabei zweitrangig.

Es ist zweitrangig, ob die Fesselung zum Körper passt, es ist zweitrangig was im Körper während der Session passiert, es ist zweitrangig wie der Konsens passt. Es geht um die Session, die Technik, das Bild, danach geht’s weiter. Konsum über alles.

Aus diesem Grund gibt es auch kaum Shibari Workshops bzw. Kurse in dem Intimität und Verbindung unterrichtet wird. Es geht ja nur darum die Technik zu erlernen, nicht das Zwischenmenschliche. Das ist bei Konsum uninteressant. Es gibt auch wenige Shibari Unterrichtende, welche das Ego außen vor lassen.

Das war auch der Grund, warum ich begonnen habe, private Fesselsessions bis hin zu Shibari Workshops anzubieten. Mir hat einfach was gefehlt. Mir fehlte das menschliche, das soziale, das verbindende und ultimativ die Intimität zwischen den Fesselnden. Mir ist es vorrangig egal, wie die Fesselung aussieht, mir geht es um Gefühl, Flow und Verbindung. Das ist mein Verständnis von Shibari.

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