„Lesbisch, nicht geschmacklos“: Interview mit Filiz & Gila

von | 1. Jan. 2024

Mich beschäftigt das Thema Label schon sehr lange. Das Thema verwirrt mich tatsächlich aber mehr, als dass es Klarheit schafft. Aus diesem Grund habe ich Freundinnen von mir gefragt, ob wir darüber sprechen können und ich das Gespräch aufzeichnen darf. Gila 28, kommt ursprünglich aus Norddeutschland und ist aufgrund ihres Jobs nach Süddeutschland gezogen. Filiz 33, kommt aus Süddeutschland. Beide wohnen mit ihrer Hündin Paula zusammen und habe 2023 geheiratet.

Es ist ein tolles Gespräch mit authentischen Frauen entstanden, die ihre Geschichte und Meinung mit mir geteilt haben. Dieser Blogartikel ist eine Zusammenfassung des Interviews. Wenn Du lieber uns lauschen möchtest, am Ende des Blogartikels findest Du den Link zum Podcast (youtube + spotify).

Labels Du Dich / Ihr Euch? 

Filiz: Ich bin schon immer, seit dem ich mich zurückerinnern kann, lesbisch.

Gila: Ich persönlich label mich als lesbisch, tut mir allerdings etwas schwer mit dem Wort. Man wird sehr schnell als maskulinen Frau abgestempelt (Stigmata des Wortes lesbisch), das bin ich aber nicht. Ich bin eine sehr feminine Frau, d. h. man sieht es mir optisch nicht gleich an, dass ich lesbisch bin. Es wird bei mir immer erwartet, dass ich hetero bin. Ein Outing bzw. ein labeln gehört daher für mich fast zum Alltag.

Wie bist Du zu diesem Label gekommen? Wie bist Du dazu gekommen, Dich nicht zu labeln?

Gila: Ich weiß schon sehr lange, dass ich eigentlich auf Frauen stehe. Da ich sehr christlich aufgewachsen bin, gab es allerdings keinen Raum oder Ansprechpartner, welche vom anderen Ufer waren. Ich konnte somit für mich nicht richtig klären, was ich bin. Ich habe es vorgelebt bekommen, also dachte ich, ich probier es erst mal mit den Männern aus.

Das hat allerdings nicht so geklappt. Ich dachte, es liegt an den Männern, bis ich mich mit 21 Jahren in eine Frau verliebte. Diese hatte einen Nerv bei mir getroffen, von dem ich davor noch gar nichts wusste. Nach der Trennung von dieser Frau habe ich es wieder mit Männern probiert. Während dieser Zeit durfte ich dann feststellen, dass es nicht an den Männern liegt, dass ich unglücklich bin, sondern an mir.

Während der letzten drei Jahren hätte ich die Möglichkeit, mich mit mir selbst auseinander zu setzen. In dieser Zeit kam mir die Erkenntnis, dass ich das Gefühl, mit einer Frau zusammen zu sein vermisse. Ich habe also meinen damaligen Freund verlasse, mich auf Lovoo angemeldet und Filiz kennengelernt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich als bisexuell gelabelt. Kurze Zeit später merkte ich allerdings, dass ich nicht bisexuell bin, sondern lesbisch.

Filiz: Ich war 13-14 Jahre alt und hatte damals eine gute Freundin, mit welcher ich das Knutschen geübt hatte. Damit wir ready für den Mann sind. In dieser Situationen mit meiner Freundin hatte ich dann allerdings begriffen, was mit mir nicht stimmt. Bis dahin habe ich von der Außenwelt immer mitgeteilt bekommen, dass mit mir was nicht stimmt. Dass ich nicht normal bin. Soziale Medien gabs damals ja noch nicht. Es war auch noch nicht so breit gefächert.

Als ich mich dann als lesbisch gelabelt hatte, wusste ich, ich gehöre zu einer Gruppe dazu und bin nicht mehr komisch.

Filiz (links) und Gila (rechts)

Kannst Du Beispiele aus Deinem eigenen Leben teilen, wie Labels Deine Beziehungen zu anderen Menschen beeinflusst haben?

Filiz: Als ich mich bei meinen Schulfreundinnen geoutet hatte, gab es einige Mädchen, die meinten, sie fänden es super cool, außer ich würde mich in sie verlieben, denn sie würden ja so gar nicht auf Frauen stehen. Nur weil ich auf Frauen stehe, heißt das ja nicht, dass ich auf alle Frauen stehe. Ich bin lesbisch, aber nicht geschmacklos.

Gila: Ein Arbeitskollege war sehr flirty unterwegs. Mit mir und Filiz war es noch frisch. Er hatte immer versucht, mit mir zu flirten. Ich habe klar gesagt, dass wir Kollegen sind und dass ich eine Freundin habe. Er meinte nur, dass das nicht so wild wäre, denn er wäre so zu seinem ersten Dreier gekommen. Das ganze hörte erst auf, als er mich mit Filiz zusammen gesehen hatte.

Von anderen Menschen durfte ich mir so Sätze anhören wie „Du hast nur noch nicht den Richtigen gehabt“.

„Beeing straight was my phase“

Inwiefern haben diese Labels Deine Identität geprägt? Hast Du jemals versucht, Dich einem bestimmten Label anzupassen?

Filiz: Ich hatte so eine Phase. Ich habe mich damals meiner Clique an lesbischen Frauen angepasst. Ich trug kurze Hosen, Baggys, Achselshirts. Mittlerweile hat sich dies geändert. Ich trage zwar sehr gerne Kleidung aus der Herrenabteilung, da diese besser passen, wie die Schnitte der Frauenabteilung, doch kann und möchte ich nicht verstecken, dass ich eine Frau bin. Allerdings werde ich immer sehr schnell als die maskuline Lesbe abgestempelt.

Gila: Ich war immer sehr anfällig bei Modetrends, unabhängig von meinem Label. Bei mir hat sich mein Kleidungsstil erst etwas verändert, als Fili in mein Leben kam. Ich trage immer noch gerne Kleider, aber ich habe mittlerweile viele Statementsshirts, Regenbogen Schmuck, welche klar aussagen, dass ich lesbisch bin.

„This girl loves her girlfriend“

Glaubst Du, dass Labels in unserer Gesellschaft notwendig sind, um sich selbst zu verstehen und akzeptiert zu fühlen?

Gila: Wenn man sich labelt, unterstützt dies einem sich selbst zu finden und zu definieren. Allerdings ist ein Label nicht zwingend notwendig. Man muss sich nicht labeln und in eine Schublade passen, wenn dies nicht zu einem passt. Das ist an der LGBTQ+-Community so toll, du kannst alles sein oder auch nichts sein.

Filiz: Es ist nicht zwingend notwendig, Labels zu haben. Ich weiß auch nicht, ob es notwendig ist die Labels zu erweitern. Was kommt noch alles dazu?

Was bedeutet für Dich queer? Ist queer politisch?

Filiz: Für mich sind queere Menschen schon immer all diejenigen, die nicht hetero ist. Alles außer normal.

Gila: Im Grund kann ich mich da anschließen. Queen sind all die Menschen, für die es kein Label gibt. Politisch bin ich nicht involviert. Es ist schwierig daher für mich dazu etwas zu sagen.

Wie siehst Du die aktuelle Entwicklung in Bezug auf Sichtbarkeit für LGBTQ+?

Filiz: Früher war alles besser 😉 Ich bin beim CSD oft mitgelaufen bzw. stand auch auf einem Wagen. Es war immer Partystimmung. Aber du hast immer wieder zwischendrin Organisationen gesehen, welche Anlaufstellen waren für Aufklärung. Es gab sehr viele Schilder. Heute geht es darum, wer hat den größten LKW? Wer hat die lauteste Musik und das krasseste Outfit? Früher gab es mehr extra Partys nur für Lesben und Schwulen. Es gab viel mehr Anlaufstellen. Man lernt sich einfach auch nicht mehr auf Partys kennen, sondern eher online. Dadurch wird die Sichtbarkeit in der Realität deutlich weniger.

Gila: In meiner Heimatstadt gab es noch nie ein Club oder eine Anlaufstelle. Es gab auch keine Menschen, die sichtbar waren, an die man sich hätte wenden können.

Gila (links), Filiz (rechts) und Paula (Hund)

Hast Du Tipps oder Ratschläge für Menschen, die sich mit ihrer eigenen sexuellen Identität auseinandersetzen und nach einem Label suchen?

Gila: Nur weil es bei mir etwas funktioniert hat, muss es nicht heißen, dass es bei dir funktioniert. Ich denke immer, es ist gut, sich auszuprobieren. Daran merkt man sehr schnell, ob und wie man sich labeln will. Auf Social Media unterwegs zu sein und der Algorithmus führt einen dann zu Content, welcher einen weiter hilft. Sich selbst beobachten, wie reagiert man in Situationen, mit welchen Menschen fühlt man sich wohl. Wenn du das Gefühl hast, die fehlt etwas in einer Beziehung, dann heißt das nicht zwingend, dass dein Partner das Thema ist, sondern dass man vielleicht mit dem falschen Geschlecht in einer Beziehung ist. Egal was man macht, man muss sich gut fühlen.

Filiz: Heutzutage finde ich, ist es schwieriger herauszufinden, was man ist. Weil alles online stattfindet. Besuch eines CSD’s. Dort gibt es sehr offene Menschen, welche gerne Frage beantworten und einem mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Wenn Du die Welt in Bezug auf LGBTQ+ Menschen in einem Satz verändern könntest, welcher wäre das?

Die Antwort zu dieser Frage findest Du in der Podcastfolge auf Youtube und Spotify

Podcastfolge

Teil 1 des Interviews in YouTube und Teil 2 des Interviews in YouTube

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4 Kommentare

  1. Gabi Kremeskötter

    Hallo Julia,

    danke für das Interview, das ganz sicher vielen, denen es ähnlich ergeht / ergangen ist wie deinen Interview-Partnerinnen, helfen kann.
    Und das ist ja ein wichtiges Anliegen von dir: Aufklären, Dinge ans Licht bringen, die nur unter vorgehaltener Hand besprochen werden.
    Ich bin zwar hetero, aber hallo: Alle Menschen, egal, welcher Herkunft oder Vorliebe, brauchen sie: eine Stimme.
    Prima, dass du sie erhebst.

    Gruß Gabi

    Antworten
    • Julia

      Hallo Gabi,

      genau das haben wir auch gesagt. Es ist Zeit, die Stimmen zu hören, die im Dunkeln sind. Die nicht auf Social Media zu sehen sind.
      Wir haben auf jeden Fall beschlossen, noch mehr solcher Gespräche zu führen 🙂

      Antworten
  2. Susanne Patzt

    Ein super Interview, dass ich gleich mal an ein befreundetes verheiratetes lesbisches Pärchen weiterleiten werde. Wir hatten kurz vor Silvester erst darüber ein Gespräch.

    Danke für deine Aufklärungsarbeit liebe Julia.

    Alles Liebe
    Susanne

    Antworten
    • Julia

      Liebe Susanne,

      danke für Dein Kommentar und das Weiterleiten. Es ist so wichtig, dass alle Stimmen gehört werden und nicht nur die auf Social Media. Sondern die aus dem täglichen Leben.

      Antworten

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