Subspace ist keine Magie – es ist Dissoziation

von | 16. Juni. 2025

In der Shibari-Szene wird er oft gefeiert: der Subspace. Dieses „High“, das beim Fesseln entstehen kann, wenn der Kopf aussetzt und sich ein Gefühl von Schweben einstellt. Viele wünschen sich genau diesen Zustand – und sehen ihn als Zeichen für eine besonders tiefe Erfahrung.

Doch was, wenn dieses High gar kein Ausdruck von Hingabe ist, sondern eine Schutzreaktion? Was, wenn unser Nervensystem uns damit nicht belohnt – sondern warnt?Ich lade Dich ein, Subspace neu zu betrachten. Nicht als Ziel, sondern als Signal. Als Ausdruck dessen, was passiert, wenn unser System aka. der Körper mit zu viel Nähe, zu viel Intensität, zu viel Unbekanntem konfrontiert wird.

Ich teile mit Dir meine Haltung – eine, die sich von vielen Stimmen in der Szene unterscheidet, und genau deshalb gesagt werden muss. Weil Fesseln für mich kein Ort ist, an dem wir uns verlieren sollten. Sondern einer, an dem wir uns finden dürfen.

Warum das „High“ beim Fesseln kein Ziel, sondern ein Warnsignal sein kann

Viele, die sich zum ersten Mal fesseln lassen, erzählen später davon, wie „high“ sie sich gefühlt haben. Von Leichtigkeit, von Loslassen, von einem Zustand jenseits des Denkens. Subspace wird das oft genannt – und in der Szene fast wie ein heiliger Gral gefeiert.

Doch was, wenn dieser Zustand gar kein Zeichen von Tiefe ist? Sondern von Überforderung? Ich weiß: Damit stehe ich ziemlich allein da. Aber ich glaube, dass das sogenannte High oft kein Ausdruck von Präsenz ist – sondern von Dissoziation.

Vom Verlassen des Körpers. Vom inneren Rückzug, weil die Intensität zu groß wird. Ich weiß, meine Perspektive ist unbequem. Aber auch ehrlich. Und vielleicht genau das, was Du hören musst, wenn Du Dich nach echter Verbindung im Seil sehnst. Nicht nach dem Kick. Sondern nach Dir.

Fesseln ist Nähe. Und Nähe ist Herausforderung.

Fesseln sieht von außen oft elegant aus, fast wie ein Tanz. Zwei Körper, ein Seil, ein gemeinsamer Rhythmus. Was von außen wie Technik oder Kunst aussieht, ist im Inneren vor allem eins: Nähe. Und zwar eine Nähe, die in ihrer Qualität kaum zu vergleichen ist.

Sie ist unmittelbar. Ungefiltert. Unvermeidlich. Diese Nähe beginnt nicht erst, wenn das Seil sitzt – sie beginnt viel früher. Im Moment, in dem Du Dich entscheidest, Dich fesseln zu lassen. Sobald Du Dich öffnest für etwas, das Du nicht kontrollieren kannst. Für Berührung. Für Präsenz. Für das Nichtwissen, was genau passieren wird. Und genau hier wird es spannend.

Denn unser Nervensystem ist darauf trainiert, Kontrolle zu suchen. Sicherheit. Verlässlichkeit. Für viele Menschen – und das schließt fast alle mit Bindungsverletzungen mit ein – ist Nähe kein neutraler Zustand. Nähe ist geladen. Nähe bedeutet für das System: „Ich könnte verletzt werden. Ich könnte verlassen werden. Ich könnte zu viel sein – oder zu wenig.“

Wenn wir über Fesseln sprechen, sprechen wir also nicht nur über Technik. Wir sprechen über Körpergeschichte. Über Nervensysteme, die gelernt haben, dass Nähe Stress bedeutet. Die sich nicht entspannen, sondern in Alarmbereitschaft gehen, sobald echte Verbindung entsteht.

Was ist Subspace wirklich – und was passiert dabei im Körper?

Subspace wird oft beschrieben als Zustand des Loslassens, als Schweben, als tranceartige Erfahrung. Der Kopf wird leer, der Körper leicht oder schwer, die Wahrnehmung verändert sich. Klingt wie ein spirituelles Erlebnis. Doch wenn wir uns anschauen, was physiologisch passiert, ergibt sich ein ganz anderes Bild.

Das Nervensystem – genauer gesagt: Der autonome Teil – reagiert auf intensive Situationen mit Schutzmechanismen. Wenn Kampf oder Flucht keine Option ist, bleibt dem System der Rückzug nach innen. Der sogenannte dorsale Vagus, ein Teil des parasympathischen Nervensystems, wird aktiv.

Das kann zu einem Zustand führen, den wir als „Freeze“ oder „Shutdown“ kennen. Und hier beginnt der kritische Punkt.

Dissoziation Subspace

Der Körper schüttet Neurotransmitter aus – Endorphine, Adrenalin. Das kann auch ein Gefühl von „High“ erzeugen. Doch dieser Zustand ist keine Erweiterung. Er ist eine Reaktion auf Überwältigung.

Es ist das, was passiert, wenn Nähe zu viel wird. Wenn die Erfahrung im Moment nicht gehalten werden kann. Wenn das System in sich zusammenfällt, weil es keinen anderen Weg mehr sieht.

Warum viele Menschen diesen Zustand suchen – und warum das nachvollziehbar ist

Ich verstehe sehr gut, warum viele Menschen Subspace als Ziel sehen. In einer Welt, in der wir selten tiefe körperliche Erfahrungen machen, in der Präsenz eine Seltenheit ist, in der uns oft nur der Kopf Orientierung gibt – da wirkt so ein körperlich-emotionaler Ausnahmezustand wie ein Portal.

Für einen Moment scheint alles still. Der Alltag, der Lärm, die Gedanken. Das Seil wird zum Anker, die Fesselung zum Ritual. Doch was passiert, wenn wir nicht wirklich da sind? Wenn unser Körper zwar gehalten wird, aber unser Bewusstsein sich entzieht? Dann wird aus einer Erfahrung, die heilsam sein könnte, ein Zustand, der uns weiter von uns entfernt.

Oft bleibt danach eine Leere. Oder ein „Ich war irgendwie nicht ganz da.“ Genau hier liegt für mich das Problem. Denn ich glaube: Wir brauchen nicht noch mehr dissoziierte Erlebnisse.

Wir brauchen Räume, in denen wir wirklich präsent sein können. In unserem Körper. Mit unserem Fühlen. Mit unserer Geschichte. Und ja, das ist schwer. Und manchmal unbequem. Aber es ist auch der einzige Weg, der uns näher zu uns bringt – statt weg von uns.

Präsenz ist lernbar – aber nicht spektakulär

Die Alternative zum dissoziierten „High“ ist nicht das pure Gegenteil. Es ist nicht völlige Kontrolle. Nicht rationale Klarheit. Die Alternative ist Präsenz. Und Präsenz ist still. Sie ist oft unspektakulär. Sie verlangt Achtsamkeit, Tempo, Vertrauen. Sie braucht Regulation.

Die Fähigkeit, im Körper zu bleiben, selbst wenn es eng wird. Selbst, wenn Scham auftaucht. Selbst, wenn Nähe beginnt, unangenehm zu werden. Und das ist nicht selbstverständlich. Die meisten Menschen haben nie gelernt, Nähe wirklich zu halten. Ohne zu flüchten. Ohne zu spielen. Ohne sich selbst zu verlassen.

Die gute Nachricht: Das lässt sich lernen. Langsam. In kleinen Schritten. In Begleitung. Durch Fesseln. Ja, genau durch Fesseln – aber nicht mit Fokus auf Technik oder Höher, weiter schneller, sondern auf Kontakt. Auf Regulation. Auf das, was zwischen den Seilen passiert.

Mein Tipp:

Mein Fazit: Fesseln ist für mich ein Raum, in dem wir uns finden, nicht verlieren.

Ich wünsche mir, dass wir beim Fesseln nicht nur auf Technik achten, sondern auch auf das, was im Inneren passiert. Dass wir Subspace nicht als Ziel sehen, sondern als ein mögliches Zeichen dafür, dass gerade etwas zu viel wird. Dass wir lernen, präsent zu bleiben – im Körper, im Kontakt, in der Verbindung.

Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen: Ein Shutdown oder eine Dissoziation ist nichts Schlechtes. Es ist eine ganz natürliche Reaktion des Körpers auf eine Situation, die gerade nicht anders zu bewältigen ist. Es ist ein Schutzmechanismus, der uns hilft, überhaupt dazubleiben, wenn es eigentlich zu viel wird.

Doch beim Fesseln – diesem besonderen Raum voller Nähe, Berührung und Intensität – geht es darum, dass wir uns dessen bewusst sind. Dass wir wissen, dass so etwas passieren kann. Und dass wir es weder idealisieren noch verteufeln. Es braucht Offenheit. Von beiden Seiten. Für Rigger und Model.

Beide dürfen sich fragen:

  • Wollen wir das?
  • Ist es okay, wenn Model dissoziiert?
  • Ist es okay, wenn ich als Rigger damit umgehe, dass mein Model vielleicht nicht mehr präsent ist, sondern nur noch ihren Körper zur Verfügung stellt, aber emotional, seelisch und geistig ganz woanders ist?

Diese Fragen sind nicht bequem. Aber sie sind der Schlüssel zu einem bewussten und sicheren Miteinander im Seil. Denn nur wenn wir darüber sprechen – bevor es passiert, während es passiert und auch danach – können wir gemeinsam einen Raum schaffen, in dem Nähe wachsen darf.

Ein Raum, in dem wir lernen, auch dann präsent zu bleiben, wenn es unbequem wird. Ein Raum, in dem wir uns selbst und einander halten, ohne uns zu verlieren. Und genau das wünsche ich mir für Dich, für mich und für diese Szene.

Und wenn Du Dich auf diesen Weg machen willst …

… dann lade ich Dich ein, Deine Fesselerfahrung anders zu beginnen. In Präsenz. Mit Dir. Mit Deinem Körper. Ohne Erwartungen. Ohne Ziel. Sondern mit einem ehrlichen: Ich bin da.

Ich begleite Menschen genau dabei. In einer sicheren Umgebung. Mit Zeit, Raum und dem Wissen um Nervensysteme, Trauma und die Kraft der Langsamkeit. Wenn Du spürst, dass Dich dieser Text berührt – dann ist das vielleicht der erste Schritt. Weg vom „High“. Hin zu Dir.

1 Kommentar

  1. Ilona Clemens

    Liebe Julia,
    du hast es bereits mehrfach erwähnt, dass „Subspace“ auch „Dissoziation“ bedeuten könnte. Und jedes Mal wieder spüre ich „Da ist was dran“. Dabei spielt es keine Rolle, ob es genau so ist, wie Du vermutest. Vielmehr spielt für mich eine Rolle, dass Du mutig DENKST. Mutig SCHREIBST. GANZ ANDERE Räume öffnest, die sich sehr, sehr weit anfühlen.
    Danke dafür.
    Ich bin und bleibe Dein Fan.
    Herzlichst. Ilona

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