Das perfekte Ropemodel – Eine zerstörerische Illusion im Shibari

von | 13. März. 2025

Shibari ist eine Art der Verbindung, des Vertrauens und der Sinnlichkeit. Doch wer sich in der Szene umschaut, begegnet immer wieder einem hartnäckigen Stereotyp: dem „typischen“ oder „perfekten“ Ropemodel. Weiblich, jung, schlank, extrem flexibel, scheinbar endlos leistungs- und leidensfähig in Suspensions und Semenawa. Lange Haare, ein braves Mädchen ohne eigene Bedürfnisse, das ihren Körper passiv zur Verfügung stellt. Kein Einfluss auf die Session, kein Mitgestalten – einfach nur da, um im Seil „hübsch“ zu sein. Doch diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern auch extrem problematisch.

Die Herkunft von Shibari und ihr Einfluss auf Stereotypen

Shibari stammt aus Japan, einer Kultur mit einem ganz eigenen Verständnis von Ästhetik, Emotionen und sozialer Dynamik. In Japan sind Zurückhaltung, nonverbale Kommunikation und die Kunst des Andeutens tief in der Gesellschaft verwurzelt.

Das traditionelle japanische Frauenbild war lange Zeit von Anmut, Stille und Unterwerfung geprägt. Diese Vorstellungen spiegeln sich in der Ästhetik vieler historischer Shibari-Fotografien wider – Models mit gesenktem Blick, kaum sichtbaren Emotionen und einer scheinbaren Passivität. Doch diese Darstellungen sind nicht zwingend Ausdruck der Realität, sondern ein kulturelles Ideal.

Japan Kultur Frau Shibari
Dieses Bild wurde durch KI erstellt

Zudem unterscheiden sich auch die körperlichen Gegebenheiten: In Japan sind kleinere, schmalere Körper mit weniger Muskelmasse weiter verbreitet als in vielen westlichen Ländern. Viele traditionelle Fesseltechniken wurden für diese Körper entwickelt. Das führt dazu, dass manche Fesselungen für westliche Körpertypen unbequem oder schwer umsetzbar sind.

Durch die globale Verbreitung von Shibari wurde dieses kulturell geprägte Bild exportiert – ohne den Kontext der japanischen Gesellschaft mitzuvermitteln. Die westliche Welt übernahm oft nur die visuelle Ästhetik, ohne die dahinterliegenden Dynamiken zu hinterfragen. So entstand die Vorstellung, dass ein „richtiges/ perfektes“ Ropemodel bestimmten Anforderungen entsprechen muss: still, beweglich, anmutig, leidensfähig.

Das Ropemodel als stumme Leinwand?

Das Bild des „perfekten“ Ropemodels ist ein Relikt aus einer Zeit, in der weibliche Passivität in vielen Bereichen als Norm galt. Es reduziert das Model auf einen Körper – ein Objekt, das geformt, bewegt und präsentiert wird. Dies führt zu mehreren gravierenden Problemen:

  1. Es nimmt dem Model seine Stimme und seine Eigenverantwortung
    • Ein gutes Ropemodel ist kein stilles Objekt, sondern eine aktive Partnerin oder ein aktiver Partner in der Session.
    • Kommunikation ist essenziell: Models geben Feedback, setzen Grenzen und gestalten die Dynamik mit.

  1. Es fördert gesundheitliche und mentale Risiken
    • Das Ideal, „alles auszuhalten“, kann dazu führen, dass Models über ihre physischen Grenzen gehen.
    • Schmerz, Taubheitsgefühle und Verletzungen werden ignoriert, weil „man das eben aushalten muss“.
    • Der Druck, eine bestimmte Körperform oder Flexibilität zu haben, kann Essstörungen und Körperunsicherheiten verstärken.

  1. Es schreckt potenzielle Ropemodels ab
    • Wer nicht jung, schlank und extrem flexibel ist, fühlt sich schnell nicht „gut genug“ für Shibari.
    • Dadurch geht eine unglaubliche Vielfalt an Körpern, Altersgruppen und Erfahrungen verloren.

Was macht ein gutes Ropemodel aus?

Ein gutes Ropemodel ist nicht durch seine äußere Erscheinung definiert, sondern durch seine Fähigkeit, mit dem eigenen Körper und dem Rigger zu kommunizieren. Eigenschaften eines guten Models sind:

  • Klare Kommunikation: Ein gutes Model gibt nonverbales und verbales Feedback und sorgt so dafür, dass die Session für beide Seiten angenehm bleibt.
  • Bewusstsein über die eigene Körperlichkeit: Kein Model muss superflexibel sein – wichtig ist, die eigenen Grenzen zu kennen und mit ihnen zu arbeiten.
  • Mentale Stärke: Vertrauen, Hingabe und Loslassen erfordern Mut. Ein gutes Model entscheidet bewusst, wie weit es gehen möchte.
  • Selbstbestimmung: Shibari ist keine Einbahnstraße. Ein Model darf jederzeit Grenzen setzen, Ideen einbringen und eine Session mitgestalten.
  • Eigenes Erleben im Fokus: Modelle sind nicht nur da, um „gezeigt“ zu werden – sie erleben, fühlen und gestalten aktiv mit.

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Welche Normen beeinflussen das Bild eines Ropemodels?

Unser Bild davon, wie ein Model „sein sollte“, wird unbewusst von verschiedenen gesellschaftlichen Normen beeinflusst:

  • Gender: Frauen werden häufig als natürliche Submissive gesehen, Männer als Fesselnde. Das beeinflusst die Wahrnehmung.
  • Körpergröße & Gewicht: Dünne, schlanke Körper werden oft als „ideale“ Modelle dargestellt, während diverse Körperformen unterrepräsentiert sind.
  • Outfit: Models in Seidenunterwäsche oder Aktfotografie sind auf Instagram weit verbreitet – dabei ist das kein Standard.
  • Bevorzugte Fesselungen: Suspensions und Semenawa werden als „echtes“ Shibari angesehen, während Bodenfesselungen weniger Anerkennung finden.
  • Reaktionen & Sounds: Ein Model „sollte“ leise genießen oder sinnlich klingen – Emotionen wie Frustration oder Unsicherheit werden selten gezeigt.
  • Augenkontakt & Gesichtsausdruck: Verträumte, erotische Blicke werden erwartet – Anspannung oder Konzentration sind weniger beliebt.
  • Genereller Vibe: Models „sollen“ sich sexy, elegant und hingebungsvoll zeigen – Verspieltheit, Lachen oder Unsicherheit sind weniger sichtbar.

Fazit: Das perfekte Ropemodel muss dringend hinterfragt werden.

Die Vorstellung des passiven, willenlosen Ropemodels ist nicht nur falsch, sondern hält die Shibari-Szene in alten Denkmustern gefangen. Sie führt dazu, dass sich viele Menschen nicht trauen, sich als Model auszuprobieren, weil sie denken, dass sie „nicht gut genug“ dafür sind. Genau das habe ich am eigenen Leibe erfahren. Gerade zu Beginn meiner Shibari-Reise war es mir wichtig, meinem damaligen Rigger zu gefallen, alles dafür zu tun, dass es ihm Spaß macht, mit mir zu fesseln.

Ich habe Fesselungen ausgehalten, die für mein Erfahrungslevel deutlich zu anspruchsvoll waren. Sie waren für meinen Körper zu belastend, und das Ende vom Lied? Ich trage bis heute die Folgen einer Fallhand mit mir herum – eine Verletzung, die nie zu 100 % heilen wird. Mein damaliger Rigger hat mich aufgrund dieser Verletzung durch ein anderes Model ersetzt – ja, genau so hat er es mir gesagt.

Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben stellte ich mir die Frage: „Soll ich Shibari sein lassen? Ich passe mit meinem Körper eh nicht rein.“ Doch diese Gedanken sind das direkte Ergebnis des Stereotyps. Dabei ist Shibari für alle da – unabhängig von Alter, Geschlecht, Körperform oder Erfahrungen. Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen, weil er nicht in ein verzerrtes Idealbild passt.

Die unterschätzten Gefahren von „Aushalten“ und Banalisierung

Für viele Models, die glauben, in anspruchsvollen Fesselungen – insbesondere Suspensions – ausharren zu müssen, entstehen nicht nur körperliche Schäden, sondern auch Traumata. Doch genau diese Schäden werden oft nicht bewusst wahrgenommen. Stattdessen tritt eine Überlebensstrategie ein: die Banalisierung.

„Es war ja nicht so schlimm“, „Ich war im Subspace“ – Aussagen, die ich häufig hört. Doch was ist dieser „Subspace“ eigentlich? Ich glaube, dass es den Subspace in der Form, wie er oft romantisiert wird, nicht gibt. Was als Subspace beschrieben wird, ist aus meiner Sicht eine Dissoziation vom eigenen Körper – eine weitere Überlebensstrategie, die greift, wenn eine Suspension bzw. generell eine Fesselung zu heftig für den Körper ist.

Diese Mechanismen werden jedoch kaum hinterfragt, denn schließlich „macht das perfekte Model es doch genauso“. Hier liegt das eigentliche Problem: Die Erwartungen an ein Model, Schmerz auszuhalten, sich unterzuordnen und keine Grenzen zu setzen, tragen maßgeblich dazu bei, dass gesundheitliche und psychische Folgen verdrängt oder nicht ernst genommen werden.

Doch das muss sich ändern. Es ist an der Zeit, dass Ropemodels als das gesehen werden, was sie wirklich sind: mutig, bewusst, stark und voller Leben. Ein Model ist kein stiller Körper im Seil – es ist ein fühlendes, aktives Wesen, das selbstbestimmt entscheidet, was sich gut und richtig anfühlt. Dies ist ein lebender Prozess und sollte während einer Fesselsession ständig durch das Model geprüft werden.

Shibari ist keine Show, kein Wettkampf um das härteste Aushalten. Es ist eine Kunst, eine Begegnung, ein Erleben – und das sollte niemals auf Kosten des eigenen Körpers oder der eigenen mentalen Gesundheit geschehen.

4 Kommentare

  1. Ilona Clemens

    Liebe Julia, wenn es dich nicht gäbe: man müsste dich erfinden! 🙂 Ich liebe deine Sicht auf Shibari/Bondage und danke dir für diesen wertvollen Artikel.
    Ich erinnere mich, dass genau das ein Thema unseres ersten Gesprächs gewesen ist: ich war im Zweifel, ob ich beweglich genug für die Seile bin.
    Was für ein wertvoller Artikel! Danke.
    Ilona

    Antworten
    • Julia

      Liebe Ilona,

      Danke für Deine Worte 🙂 Ja genau, das war unser Thema beim Gespräch. Ich hoffe, dass wir uns bald real treffen.

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  2. Adrian

    Hallo Julia, ich danke Dir für diesen wichtigen Text.

    Das Ideal ist schwer zu erreichen, von allem wenn es der eigene Körper ist. Somit sind immer Enttäuschungen mit dabei, wenn man sich ansieht, was bei anderen möglich ist.

    Vergleichen ist in allen Lebenslagen Mist, da jede/r eine andere Ausgangsbasis in seinen Leben hat.

    Mit diesem Wissen (was immer mal wieder vergessen wird) suche ich weiter in der Welt nach der/dem fesselnden Menschen, der mich nimmt wie ich bin.

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    • Julia

      Hallo Adrian,

      wie ich im Blogartikel bereits geschrieben habe, aus meiner Sicht gibt es kein Ideal. Wir alle sind auf unsere Art und Weise Ideal.
      Wenn wir unter Vergleicheritis leiden, vergessen wir oft, alle Aspekte zu betrachten, mit wem oder was wir uns vergleichen. Wir vergleichen uns oft mit dem Offensichtlichen, doch das ist immer nur 10 %. Der Rest ist verborgen.

      Ich bin der Meinung, jede Person ist perfekt und ideal für das Seil. Wer was anderes sagt, hat zu viel Angst, da zuzustehen, dass die eigenen Fähigkeit NICHT ausreichen, um sein Fesseln an das Gegenüber anzupassen.
      Oder, nicht den Mut hat dazu zu stehen, dass man nicht auf einer Wellenlänge ist.

      Liebe Grüße
      Julia

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