Shibari ist nicht gleich Shibari. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Shibari zu praktizieren. Auch die Frage der Intention für eine Shibari Session ist ein Grund, warum es unterschiedliche Fesselstile gibt. Die Frage ist immer: Welcher Fesselstil ist für wen. Es gibt in Deutschland aktuell vier bekannte Shibari Stile. Weltweit gibt es natürlich deutlich mehr.
Hauptstile
Aus meiner Sicht gibt es zwei Hauptstile bei Shibari aus denen die Unterstile bzw. auch Ryu’s entstanden sind: Semenawa und Aibunawa.
Je nach dem, welche Intention für das Fesseln gesetzt wurde oder/und für welche Umstände (Foto, Show, Film) Shibari praktiziert wird, eignet sich der eine oder andere Stil besser.
Semenawa
Dieser Stil ist in der Shibari Welt durch viele Schulen stark repräsentiert. Folgende Rigger prägen bzw. prägten unter anderem diesen Fesselstil: Chimuo Nureki, Akechi Denki, Naka Akira. Wenn im Semenawa-Stil gefesselt wird, geht es hauptsächlich darum, dass das Ropemodel etwas erduldet, etwas ausbehält. Egal ob körperlich, emotional oder mental.
Die Fesselungen sind körperlich fordernd, geben wenig Bewegungsspielraum (ggf. auch für die Atmung). Das Grundthema ist das Erleiden des Ropemodels. Die extreme Posen des Ropemodels und die dadurch entstehende Ästhetik sind ebenfalls Merkmale dieses Stiles. Semenawa kann besonders gut auf Fotographien festgehalten werden.
Shuuchinawa bzw. Aibunawa
Dieser Stil ist in der Shibari Welt nicht so stark präsent. Folgende Rigger prägten unter anderem diesen Fesselstil: Yukimura Haruki. Bei diesem Fesselstil steht das sinnlich, erotische Erleben im Vordergrund. Es geht um Zärtlichkeit und Intimität. Ein zartfühlendes Miteinander. Dieser Fesselstil lädt das Ropemodel dazu ein, sich zu öffnen.
Die Fesselungen werden eher mit weniger Seil und lockerer gefesselt. Dies schafft den Eindruck, dass eine Flucht aus dem Seil noch möglich ist. Doch Rigger behält die Kontrolle und führt das Model immer weiter. Die Hierarchie zwischen Model und Rigger bleibt verborgen, sie wird nicht aufgehoben oder umgangen.
Je mehr das Model versteht, wie unmöglich es ist, sich zu befreien, desto stärker wird das Erlebnis. Dieser Fesselstil hat also eine doppelte Bedeutung und spielt bewusst mit dieser Unklarheit. Aibunawa kann besonders gut in Shows und Film erlebt werden, da dort der ganze Prozess des Models miterlebet werden kann.
Ryu`s
Bei Shibari wird oft nicht von Fesselstile gesprochen, sondern von Ryu. Ryu ist natürlich japanisch und meint übersetzt so etwas in der Art wie „Stil, Art und Weise, Strom“. Es bezeichnet in den japanischen Künsten, nicht nur beim Fesseln, eine bestimmte Art und Weise, wie etwas getan wird. Dabei kann es sich auch um ein Lehrsystem handeln oder um eine persönliche Ausprägung einer Person bzw. Gruppe.
Ryu umfasst stilistisches, ästhetisches und technisches Wissen. Oft bilden sich Gruppen um einzelne Personen, die diesen Stil vertreten, und es entsteht fast schon ein Personenkult um diese eine Person, welches dem Ryu den Namen gibt. In solchen Gruppen geht es nicht nur darum, die Technik zu erlernen, sondern auch darum, den eigenen Stil in Ryu zu entwickeln und zu integrieren. Jeder kann seinen individuellen Ausdruck finden – ohne dabei eine Kopie der anderen zu sein.
Ähnlich wie beim Schreiben lernen wir die gleichen Buchstaben zu benutzen, aber jeder hat seine eigene Handschrift. Bei der Auswahl des Ryu wird somit sehr stark auf die namensgebende Person bzw. dessen Schüler geachtet. Passt die Chemie, fühlt man sich zu der Person verbunden bzw. wird eine Verbindung zur unterrichtenden Person empfunden.
Yukimura Ryu
Yukimura-Ryū ist ein Shibari-Stil, der von Yukimura Haruki in den 1980er Jahren entwickelt und bis zu seinem Tod im Jahr 2016 in seinem Studio in Ebisu, Tokio, gelehrt wurde. Dieser Stil ist bekannt für seine subtile Ausführung und den besonderen Fokus auf den emotionalen und sinnlichen Austausch zwischen dem Ropemodel und Rigger. Viele bekannte Shibari-Künstler, darunter Hajime Kinoko, Osada Steve und Naka Akira, wurden stark von Yukimura-Ryū beeinflusst.
Dank zahlreicher engagierter Lernender hat sich dieser Stil weltweit verbreitet. Heute gibt es Schulen in Australien, Europa und den USA, die Yukimura-Ryū unterrichten. Neben den zertifizierten Instruktoren gibt es viele aktive Praktizierende, die den Stil weiter pflegen und kontinuierlich neue inhaltliche sowie stilistische Impulse setzen.
Minimalistisch
Für mich ist Shibari ein emotionaler Austausch zwischen einem Mann und einer Frau. Das ist etwas, was es wohl nur in Japan in dieser Art gibt – die gegenseitige Liebe über das Medium Seil ausdrücken zu können. Es geht nicht darum, wie man eine bestimmte Bondage im technischen Sinne baut. Ziel und Zweck sind, wie man über die eigentliche Aktion des Fesselns die Gefühle des Partners weckt.
YUKIMURA HARUKI
(Übersetzt von engl. in deutsch)
Osada Ryu
Steve Osada, geboren am 30. November 1952 in Berlin, ist ein deutscher Shibari-Lehrer und Performer, der maßgeblich zur internationalen Verbreitung von Shibari beigetragen hat. Sein Stil zeichnet sich durch technische Vielfalt und große emotionale Ausdruckskraft aus. Sein Ausbildungskonzept wird sowohl in seinem Studio Six in Tokio als auch weltweit gelehrt.
In den frühen Jahren (1989–2002) wurde Osada Steve stark von Osada Eikichi, beeinflusst. Von 2002 bis 2006 konzentrierte sich Osada Steve auf den Semenawa-Stil, beeinflusst von Akechi Denki.
Ab 2007, unter dem Einfluss von Yukimura Haruki, verschob sich Osada Steves Fokus. Extrovertierte Suspensions wurden zunehmend durch intensive, emotionale Bodentechniken ersetzt. Subtile Körperbewegungen und Techniken, der Einsatz von Atem und Sprache, sowie das „streichelnde Seil“ – wurden zentral. Der Gesamtausdruck wurde komplexer und vielschichtiger.
Ab 2017 trat Ren Yagami als neuer wichtiger Einfluss auf. Yagamis besonderer Fokus auf die biomechanische Bewegungslogik des Körpers und die Optimierung der Bewegungsführung im Shibari prägt Osada Steves Stil nun durch eine raffinierte und präzise Anwendung der Körpermechanik.
Osada Ryu ist für Alle, nicht nur für Supersportler
OSADA STEVE
Yagami Ryu
Yagami Ren ist ein japanischer Shibari-Lehrer und Performer, der den Shibari-Stil Yagami-Ryū entwickelt hat. Sein Ansatz fokussiert sich auf die effiziente und effektive Bewegung und Kontrolle des Körpers, wobei Seil als Werkzeug zur Immobilisierung genutzt wird. Im Yagami-Stil beginnt man nicht mit dem Seil, sondern mit der Frage, wie man den Körper am besten kontrollieren kann. Dabei zieht er Konzepte aus dem Kampfsport wie maai und kyuusho heran, um diese in erotische Interaktionen zu integrieren und sexuelle Befriedigung zu ermöglichen.
Der Yagami-Stil besteht aus drei zentralen Elementen: Nawasuji (Technik), Taijutsu (Körpernutzung) und Kyushougaku (Theorie und Methodik). Diese drei Aspekte sind untrennbar miteinander verbunden und müssen gemeinsam betrachtet werden. Der Stil basiert auf fundierter Theorie und Technik, wobei ein tiefes Verständnis dieser Grundlagen für effektives Fesseln entscheidend ist. Im Gegensatz zu einem Fokus auf emotionale Ausdruckskraft legt Yagami Ren Wert auf präzise Kommunikation zwischen den Fesselpartnern und die praktische Anwendung seiner Methodik für sexuelle Befriedigung
Die Grenzen der Vorstellungskraft eines Menschen sind seine/ihre Grenzen.
YAGAMI REN
(Übersetzt von engl. in deutsch)
Naka Style (Ryu)
Naka Akira entdeckte die Welt des japanischen Bondage im Alter von 30 Jahren, als er einen Kurs bei dem berühmten Meister Chimuo Nureki besuchte. Schon beim ersten Mal, als er Nureki bei der Arbeit beobachtete, fühlte er sich immer mehr von der faszinierenden Sinnlichkeit angezogen. Er schrieb sich sofort in den Kurs ein und hat seit diesem Schlüsselmoment sein Leben dem Weg von Meister Nureki gewidmet.
Schließlich hatte er einen entscheidenden Moment, in dem er dachte: „Das ist es, wofür ich mein Leben widmen möchte.“
Naka Akiro konzentriert sich auf die Präzision und Genauigkeit der formalen, eng und schlicht verflochtenen Suspension. Zusätzlich hat er seinen eigenen einzigartigen Stil entwickelt, den er „Naka-Ryu“ nennt. Dieser Stil soll neue Wege im Zusammenspiel von Schönheit und Schmerz eröffnen. Deshalb nennt er ihn auch „Ästhetische Folter-Bondage“ (MURU-ZOU). Im März 2008 gründete er die „MURU-ZOU Gruppe – Akira Naka Bondage Vereinigung“.
Ein Mann, der mit einem hohen Maß an weltweiter Ausdruckskraft die Weltanschauung vermittelt –
NAKA AKIRA
das ist der „NAKA – STYLE“.
(Übersetzt von engl. in deutsch)
Mein Fazit: Beginne erstmal ohne Dich direkt auf ein Lehrsystem festzulegen
Mit welchem Fesselstil sollst Du nun beginnen? Welchen solltest Du lernen und von welchem solltest Du die Finger lassen? Das sind die großen Fragen. Meine Antwort darauf: Beginne erst einmal ohne Fesselstil und lerne das Seil ohne Vorgaben durch Ryu’s kennen. Ganz ohne Druck und Richtlinien. Nimm den Druck raus!
Jeder Fesselstil ist so individuell wie Du selbst. Ich bin der Meinung, es ist wichtig, zuerst einmal Dich mit dem Seil kennen zu lernen, bevor Du den Stil von anderen mit Seil lernst. Finde Dich mit Seil. Folgen Fragen können einen roten Faden für Deine Entdeckungsreise mit dem Seil sein:
- Wer bist Du mit Seil?
- Wie bist Du mit Seil?
- Was möchtest Du mit Seil ausdrücken und was nicht?
Sobald Du diese Fragen nicht nur beantworten kannst, sondern auch fühlen bin ich mir sehr sicher, dass Du die Frage „Welcher Fesselstil passt zu mir“ nicht mehr stellen musst, denn dann wirst Du es wissen.
So ging es zumindest mir. Ich habe sieben Jahre ohne festen Fesselstil gefesselt. Habe von den Menschen gelernt, welche ich persönlich und seiltechnisch interessant fand, ohne zu wissen, ob und welchem Lehrsystem sie angehören.
Ich habe in diesen sieben Jahren erfahren, wer ich mit Seil sein kann, wie ich mit Seil sein kann und vor allem, was ich damit ausdrücken und vermitteln möchte. Seit dem ich dieses klar habe, weiß ich, welches Lehrsystem mich am meisten reizt und interessiert.
Ob dieses Lehrsystem mir gefallen wird, ob ich mit dem Rahmen selbst klar komme, werde ich dann erfahren. Doch eines weiß ich sicher, wenn ich nicht klar komme, weiß ich immer noch wer, was und wie ich mit Seil bin.
Mehr Erfahrung, Bilder und Einblicke?
Dann ist „(k)not your expectations“ genau das Richtige für Dich!
0 Kommentare