Als ich mit Shibari begonnen hatte, war ich sehr schnell in der Glorifizierung bestimmter Shibari Personen dabei. In der Szene gab es schon immer die einen. Die, die die „Gurus“ der Szene sind. Die, die Anhänger haben, die, die sagen, was richtig und falsch beim Praktizieren von Shibari ist.
Erst als ich mich von der Shibari Szene distanziert hatte, wurde mir klar, wie sehr ich selbst Anhängerin von bestimmten Riggern war und wie ich mich damit eine Schublade stecken ließ. Mir sämtliche Selbstverantwortung und vor allem, mein Bauchgefühl, meine Intuition und mein Flow absprechen ließ.
Jahrelang hatte ich „Ruhe“ von Shibari-Gurus und der Shibari-Polizei. Seitdem ich nun wieder mehr in der Öffentlichkeit mit meinem Shibari stehe, werde ich mit diesen Phänomenen konfrontiert.
Egal was ich sage, glaub mir kein Wort
Es geht sehr schnell. Sobald ein Mensch vor anderen Menschen steht und diesen etwas beibringt, diese unterrichtet, beginnt das Phänomen. Wir erachten diesen Menschen als eine Art Autorität. Schließlich, bringt dieser Mensch uns etwas bei.
Ich habe das mein ganzes Leben lang gelernt und ich denke auch Du. Sei es, dass wir unsere Eltern als absolute Autorität gesehen und vielleicht sogar noch sehen, sei es die Erzieher in den Kindergärten, die Lehrer in den Schulen usw. Diese Konditionierung steckt so tief in uns, dass wir als erwachsene Menschen manchmal vergessen, dass wir unsere eigene Autorität sind. Dass uns kein Mensch mehr Wahrheit und mehr beibringen kann, als wir selbst.
Egal in welchem Format ich unterrichte, sage ich immer „Glaube mir kein Wort. Es ist nicht die absolute Wahrheit, es ist meine Wahrheit. Prüfe genau nach, ob es auch deine Wahrheit ist, oder ob du nur zustimmst, weil ich als Lehrende vor dir stehe und meine Erfahrungen mit dir teile“.
Ich bin kein Guru
Ich bin kein Guru und ich will um Gotteswillen kein Guru sein. Ich bin eine einfache Frau, die seit über 20 Jahren Erfahrungen im BDSM-Bereich sowie seit knapp 10 Jahren Erfahrungen im Shibari Bereich gesammelt hat. Mit diesen Erfahrungen gehe ich nun in die Öffentlichkeit, um Menschen Seil näher zu bringt, ohne eine Anhängerschaft zu schaffen.
Für mich gibt es kein besser oder schlechter. Wir sind alle gleich. Wir sind auf unterschiedlichen Wegen und treffen uns, um voneinander zu lernen. Ich lerne von meinen Teilnehmenden, meine Teilnehmenden lernen von mir.
Ich bin nicht besser oder höher, nur weil ich einen anderen Weg beim Fesseln gegangen bin wie Du. Wir sind auf Augenhöhe.
Es gibt keine Shibari-Polizei
Es schmerzt mich immer sehr, wenn ich von Teilnehmenden Geschichten höre, welche Erfahrungen sie bei anderen Shibari Unterrichtenden gemacht haben. Vor allem, wenn es darum geht, das „richtige“ Seil oder die „richtige“ Seillänge oder den „richtigen“ Körper für Shibari zu haben.
Denn auch ich habe dies in meiner Zeit als Teil der Shibari Szene schmerzliche erfahren dürfen. Mein Körper war falsch, denn entweder war dieser zu groß und zu breit, damit die Fesseltechnik funktioniert hatte oder für die Fesselungen benötigte man für meinen Körper mehr Seile, als es typisch wäre.
Dies hatte mein Selbstwertgefühl natürlich stark beeinflusst und nicht nur das. Ich habe mich als falsch empfunden.
Es könnte jetzt sein, dass ich Dich schocke. Meine heutige Wahrheit ist, dass es kein „richtiges oder falsches“ im Shibari gibt. Somit gibt es auch keine Shibari-Polzei. Dies sind Menschen, die Dich tadeln oder anmahnen könnten, dass Du etwas Falsches bei Shibari verwendest oder gar Du falsch im Shibari bist.
Shibari ist das, was Du daraus machst!
Shibari ist zuerst ein mal eines, Fesseln mit Seil. Nicht mehr und nicht weniger. Alles andere ist dann das, was Du daraus machst. Wenn Du nach einem bestimmen Stil fesseln möchtest. Tu das, sei Dir allerdings der Schublade bewusst, in die Du Dich steckst. Wenn Du Seile verwenden möchtest, welche Du selbst gemacht hast. Tu das, sei Dir allerdings des Risikos bewusst.
Wenn Du kein japanischen, sondern einen europäisch gebauten Körper hast, praktiziere Shibari. Sei Dir allerdings bewusst, dass Du ab und an mehr Seile benötigst, wie es im Unterricht erwähnt und angegeben wird.
Wenn Du Shibari als Ergänzung für Dein Liebesleben nutzt, tu das. Wenn Du Shibari als Entspannung nutzt, tu das. Wenn Du Shibari als Energieaustausch nutzt, tu das. Wenn Du Shibari nutzt, um BDSM zu erleben, tu das.
Was willst Du?
Shibari kann so vieles sein. Niemand außer Du kannst Dir sagen, was Shibari für Dich ist. Nutze alles, was es gibt als Inspiration und erforsche, was Du wirklich willst. Ich ermutige Dich dazu:
Eigenständig und frei in Deiner Entscheidung zu sein und keine Kopie, sondern ein Unikat zu sein!
Mehr Erfahrung, Bilder und Einblicke?
Dann ist „(k)not your expectations“ genau das Richtige für Dich!
Der erste Gedanke beim Lesen deines Beitrags „Überall derselbe Shit“. Etwas Neues zu lernen, erfordert manchmal, dass wir eins zu eins nachahmen. Doch um es zu etwas Eigenem zu machen, braucht es die Lösung von der Nachahmung. Es braucht spielerische Intuition und die Entscheidung, wie es gut für mich ist. Folge ich immer nur dem, was andere für richtig empfinden, gebe ich meine Autonomie ab. Das sollte kein Mensch freiwillig tun. Menschen gegenüber, die immer wissen, was für mich richtig ist, bleibe ich misstrauisch. Manchmal haben sie recht, manchmal nicht. Oder das, was sie mir anbieten, darf ich modifizieren, bis es für mich passt. Danke für diesen Impuls, da dürfen wir auch in der Therapie- und Coachingszene demütiger werden, gegenüber der Intuition von Klient:innen.
Hallo Sylvia,
ja absolut, das ist kein spezifisches Phänomen in der Shibari Szene, sondern ich glaube überall, wo es Menschen gibt, welche andere Menschen unterrichten, coachen, trainieren etc.
Ich gebe Dir auch recht, auch in der Coachingszene sollte viel demütiger mit dem Thema umgegangen werden. Ich sehe auch dort viele Menschen, welche als „Gurus“ gesehen und bezeichnet werden. Die „Gurus“ machen nichts dagegen, sondern nutzen dies eher noch zum Nachteil ihrer „Jünger und Folger“ an.
Hallo Sylvia und Julia,
ich bin absolut eurer Meinung und freue mich sehr, dass ihr beide diesen Aspekt der Autonomie herausstellt. Bin selbst Coach (und auch noch spirituell XD) und finde es – je nach Ausmaß – traurig, schade bis gefährlich, wie sehr sich Menschen teilweise an eine andere Person hängen, diese hypen und sich dabei selbst verlieren können. Manchmal geschieht das sogar ohne bewusstes Zutun des „Gurus“. Da wird es so eine Art sich selbst bestätigende Rollenverteilung: Der Lehrer ist ja für gewöhnlich von seiner Lehre/Theorie überzeugt, sonst könnte er nicht authentisch unterrichten. Schwierig wird es dann, wenn der Schüler den Lehrer zu sehr bewundert, auf ein Podest stellt und gleichzeitig seine Eigenverantwortung abgibt. Der Lehrer nimmt das ggf. unbewusst an und möchte den Schüler noch weiter unterstützen auf „seinem“ Weg … und Schwups, gibt es eine Abhängigkeit und keiner hat’s gemerkt. Regt mich trotzdem auf. ^_^* Daher ermutige ich auch jeden zum beständigen Hinterfragen (Rebel Mindset, yay!) und Abgleichen mit den eigenen Bedürfnissen, der eigenen Intuition, der eigenen Einstellung. Dankeschön für eure tollen Kommentare und dir, Julia, für deinen interessanten Artikel!