Sicherheit. Ein Wort, das in der Welt des Fesselns oft mit konkreten Maßnahmen verbunden wird: Konsensgespräch, eine Schere griffbereit, ein Safeword vereinbart, im besten Fall noch ein aktives Notrufsystem auf dem Handy. Für viele ist das der Inbegriff einer sicheren Session. Für mich ist das nur ein winziger Teil.
Eine Illusion von Sicherheit, die nur dann greift, wenn schon etwas passiert ist. Aber was ist mit der Sicherheit, die entsteht, bevor überhaupt das erste Seil die Haut berührt? Mit dem Moment, in dem dein Körper – nicht der Verstand – sagt: Ja, ich bin sicher. Ich darf loslassen. Ich darf empfangen. Ich darf sein.
Konsens ist kein Sicherheitsgefühl
Wenn wir über Sicherheit sprechen, denken wir viel zu oft mental. Konsens wird geklärt, Absprachen getroffen, Grenzen formuliert. Und das ist wichtig – keine Frage. Aber Konsens ist ein Konzept, das im Kopf passiert. Es spricht die kognitive Ebene an, verhandelt, formuliert, argumentiert. Doch der Körper?
Der fragt nicht, ob es ein Vorgespräch gab. Der fragt: Fühlt sich diese Situation sicher an? Kann ich vertrauen? Bin ich gehalten – nicht nur durch Seile, sondern durch Präsenz? Und hier beginnt eine andere Form von Sicherheit. Eine, die nicht auf rationalen Entscheidungen basiert, sondern auf körperlichem Erleben.
Denn das Nervensystem kennt keine Argumente. Es kennt nur Signale. Wärme. Gerüche. Blicke. Tonlagen. Körperhaltung. Es scannt den Raum permanent. Und wenn der Körper keine eindeutigen Signale von Sicherheit bekommt, wird er nicht entspannen. Kein Seil der Welt kann das ändern.
Warum Loslassen kein Zufall ist
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass man sich im Seil entspannen kann. Dass Loslassen eine Folge des Gefesselt seins ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Entspannen kannst Du nur dann, wenn Dein Körper bereits vorher in einem Zustand von Sicherheit ist. Das ist ein gewaltiger Stretch: Denn wir erwarten vom Körper, dass er loslässt, während wir ihn gleichzeitig in eine ungewohnte, potenziell bedrohlich wirkende Lage bringen.
Fesseln ist für den Körper – insbesondere für Menschen, die keine intensive Körperarbeit gewöhnt sind – erstmal fremd. Alles Fremde ist im Nervensystem zunächst einmal unsicher. Sobald das Gefühl von Sicherheit fehlt, schaltet der Körper in eine Form von Alarmzustand.
Das passiert selten dramatisch. Aber subtil und konstant. Hochgezogene Schultern, viele Worte, schnelles Sprechen, flache Brustatmung, Unruhe, das Bedürfnis, sich ständig zu bewegen – all das sind Signale. Schutzstrategien, die vom Nervensystem automatisch aktiviert werden. Weil es kein echtes Ja geben kann, wenn keine Sicherheit da ist.
Der Körper hat seine eigene Logik
Genau hier kommt eine große Illusion ins Spiel, die ich in vielen Körperschulen und auch in der Fessel-Szene beobachte: Dass Entspannung Sicherheit erzeugt. Dass wir nur tief durchatmen müssen, und dann „stellt sich die Entspannung schon ein“.
Doch so funktioniert Nervensystemregulation nicht. Der Körper hat eine eigene Logik. Ein eigenes Gedächtnis. Und er entscheidet eigenständig, ob eine Situation sicher ist – unabhängig davon, was der Verstand glaubt. Wir können also nicht einfach denken: „Ich bin sicher“, und der Körper macht mit.
Wir können uns auch nicht bewusst für Entspannung entscheiden, wenn der Körper sich instinktiv in Anspannung befindet. Aus diesem Grund braucht es Möglichkeiten bzw. Räume, in denen sich der Körper überhaupt erstmal selbst hören kann. In denen er Zeit bekommt, sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Manchmal bedeutet das: zehn Minuten einfach nur sitzen. Nichts tun. Atmen. Und warten. Warten, bis der Körper von sich aus sagt: Ich bin bereit.
Drei Ebenen, die für echte Sicherheit zusammenwirken müssen
In meinen Sessions arbeite ich nicht nur mit Technik oder Dramaturgie – ich arbeite mit den Ebenen, die tatsächlich Sicherheit ermöglichen. Für mich sind das drei: die mentale Ebene, die emotionale Ebene und die Körperebene. Mentale Ebene – der Verstand. Emotional – das Herz, das Fühlen. Und körperlich – das Becken, das Nervensystem.
Alle drei sind notwendig. Denn wenn der Verstand Ja sagt, aber das Herz eng bleibt – entsteht keine Sicherheit. Wenn das Herz offen ist, aber der Körper sich in Alarmbereitschaft befindet – entsteht keine Sicherheit. Und wenn der Körper offen wäre, aber der Kopf sabotiert – entsteht ebenfalls keine Sicherheit. Erst wenn alle drei Ebenen ein innerliches Ja haben, entsteht Raum. Entsteht Öffnung. Entsteht echte, spürbare Präsenz.
Raum halten heißt: nicht performen, sondern mitfühlen
Viele Menschen glauben, als Rigger müsse man nur gut fesseln können. Die richtige Technik kennen. Vielleicht ein paar Fancy-Muster oder die passende Musik wählen. Doch aus meiner Sicht beginnt die eigentliche Verantwortung des Riggers viel früher.
Raum halten bedeutet nicht, souverän einen Ablauf durchzuziehen. Es bedeutet, mitfühlend zu begleiten. Herauszufinden: Was braucht mein Gegenüber, damit sich der Körper sicher fühlt? Welche Atmosphäre hilft, welche Sinneseindrücke, welche Klänge, welche Texturen?
Was signalisiert dem Nervensystem: Du darfst atmen. Du bist nicht in Gefahr. Ich bin da – nicht weil ich etwas will, sondern weil ich dich halte. Ich glaube zutiefst, dass gute Fesselarbeit dort beginnt, wo der Mensch als Ganzes gesehen wird – nicht als Empfängerin einer Technik, sondern als fühlendes Wesen mit Geschichte.
Verantwortung liegt auf beiden Seiten
Auch auf der Seite des Models liegt Verantwortung. Ich weiß, in vielen Kreisen klingt das provokant. Aber Hingabe passiert nicht einfach. Loslassen braucht Vorbereitung. Ein ehrliches, innerliches Ja. Und Offenheit.
Offenheit, sich zu zeigen, sich mitzuteilen, sich auch verletzlich zu machen. Denn niemand – kein Rigger der Welt – kann schmecken, was ein anderer Körper braucht. Vielleicht brauchst Du Stille. Vielleicht brauchst Du Technomusik. Vielleicht brauchst Du vorher zehn Minuten Augenkontakt.
Und genau das ist die Aufgabe eines Models: Es herauszufinden und zu teilen. Denn nur dann kann ein Raum entstehen, in dem Dein Körper aufhört, zu schützen und beginnt, zu vertrauen.
Sicherheit schafft Entspannung – nicht umgekehrt
Was ich immer wieder beobachte – in der Szene, in Workshops, in Gesprächen – ist dieser Denkfehler: Wir glauben, Entspannung wäre der Weg zur Sicherheit. Doch das Gegenteil ist wahr. Sicherheit ist die Voraussetzung für Entspannung. Nicht andersherum.
Entspannung kann nicht erzeugt werden. Sie kann nur entstehen – wenn die Bedingungen stimmen. Wenn Dein Nervensystem ein klares Ja bekommt. Wenn die Umgebung, die Atmosphäre, der Kontakt stimmt. Dann entspannt sich der Körper.
Dann entsteht Hingabe. Dann wird Loslassen möglich. Das ist kein Zustand, der „einfach passiert“. Sondern das ist das Ergebnis einer klaren, gemeinsamen Vorbereitung. Mit Körper, Herz und Verstand.
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